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»Ästhetische Empirie«, die Bereitstellung eines Gegenstands zur Bildung von Erfahrung. Das ist das Ziel der Musik von Hannes Seidl. Der 1977 in Bremen geborene Komponist begreift seine Arbeit als eine Form des Nachdenkens über die Funktion von Musik in sozialen Zusammenhängen.
»Diesseitigkeit« nennt Hannes Seidl seine Antithese und meint damit die explizite Verankerung des musikalischen Kunstwerks in einem wie auch immer »profanen« Jetzt. Um sich zu legitimieren, um nicht vollends ins Randständige abzudriften, müsse Neue Musik eine Position einnehmen, die mehr zu sein beansprucht, als das ebenso eskapistische wie selbstgenügsame »Andere«.
Das Resultat ist eine Musik, die ihre Legitimation als Kunstwerk nicht aus einer aufs Erhabene zielenden Äußerlichkeit bezieht, die ihren Materialien keine »verborgenen Wahrheiten« abzuringen sucht, als vielmehr Klänge und Geräusche ohne die Kategorisierungen »wichtig« und »unwichtig« oder »bedeutsam« und »verzichtbar«, miteinander in Verbindung bringt. Seidls Kompositionen verzichten auf hübsche Lackierungen, sie legen ihre Risse, Fugen und Kontraste offen, sie suspendieren die Überbewertung des Handwerklichen, die in der Diskussion Neuer Musik inzwischen zum beliebten Bewertungssystem avanciert ist: »gut gemacht«, »schön ausgehört« lauten dann die vermeintlichen Qualitätsurteile – als ob es darum ginge, Kunsthandwerk zu begutachten. Indem Seidl die Relevanz der Machart von vornherein infrage stellt, lässt er solche Scheinargumente ins Leere laufen.
»Auf der Tanzfläche spielt das Tanzen-Können keine Rolle, nur das Loslassen-Können«, kommentiert Hannes Seidl sein Orchesterstück und stellt damit klar, welcher Art das FEST ist, das hier gefeiert wird: »Das Fest ist die Suche nach dem Ausnahmezustand. Es hebt die Regeln auf, ist verschwenderisch, unproduktiv, exzessiv, zerstörerisch. Die Feiernden verschwenden sich selbst, zerstören ihren Körper – nach dem Fest fällt die Arbeit aus.« Dementsprechend geht es zur Sache – laut, intensiv, ohne Rücksicht auf Disziplin und Hierarchien. Heterogene Gruppen bilden sich, Beziehungen werden eingegangen, gefestigt, gelöst; die regulierende Kraft repetitiver Rhythmen wird begeistert angenommen, konterkariert und überdrüssig wieder aufgegeben. Nicht die Formschönheit der Bewegungen ist gefragt, nicht die um Beachtung und Anerkennung heischende Demonstration der kunstfertigen Performance – was zählt, ist Intensität: Jeder kann tanzen, jeder singen, jeder feiern. Zugleich aber gibt es bei FEST keine Tanzenden, keine Musikanlage, die je nach Stimmung bedient werden kann – das Set ist festgelegt. Und eben darin äußert sich die Differenz, die Setzung des kompositorischen Zugriffs, der das Alltägliche, das »Profane« musikalisch reflektiert, ohne mit ihm identisch zu sein: »FEST ist genauso eine Feier wie La Valse ein Tanz ist. Die Musiker feiern nicht, sie spielen nicht einmal Feiern. Die Musik, das Konzert, ist eine Reminiszenz an das Fest.« Michael Rebhahn