KREDIT

Finished 2013
Musiktheater
duration: 80'


Daniel Kötter / Hannes Seidl
KREDIT. Von der Erwartbarkeit zukünftiger Gegenwarten. Ökonomien des Handelns 1
Der Experimentalfilmer Daniel Kötter und der Komponist Hannes Seidl, die seit 2008 intensiv zusammenarbeiten und dabei avancierte Formen dokumentarischen Erzählens mit Neuer Musik verbinden, haben sich einiges vorgenommen. In den nächsten Jahren wollen sie in ihrer Projektreihe „Ökonomien des Handelns“ mit den Mitteln des Films und der Komposition die grundlegenden Bedingungen sozialen Handelns untersuchen. Um Liebe soll es gehen, um Recht. In der ersten Folge wenden sich die beiden einer Ökonomie des Handelns zu, die in den Jahren der globalen Finanzkrise verstärkt ins Blickfeld geraten und dabei überaus suspekt geworden ist – die Ökonomie des Handelns mit Geld, symbolisiert durch den Berufsstand des Bankers.

Kötter und Seidl bringen für „KREDIT“ einen Stummfilm über diesen Stand auf die Bühne. Sie haben hierfür in Frankfurt Banker bei der Arbeit, aber auch in der Freizeit und im Kreis ihrer Freunde mit der Kamera begleitet und daraus einen Film geschnitten, dessen Tonspur ausgelöscht wurde. Für die Neu-Vertonung sorgt eine seltsame Gesellschaft live auf der Bühne.

Drei Geräuschemacher sind darunter, die mit dem Sound von Klimaanlagen, dem Hall von Schritten im Gang oder dem Klappern von Computerkeyboards für Atmosphäre, von feinen bis zu gehörig krachenden Noisetexturen sorgen, sowie zwei Synchronsprecher, die den Figuren des Films ihre Stimme verleihen. Dazu singt der Chor der Deutschen Bundesbank Credos der Musikgeschichte und zeitgenössische Kommentare, Choräle und Kampflieder. Ein Glaubensbekenntnis wider die Wahrscheinlichkeit, Banker-Doku-Fiktion und Stummfilm-Oratorium in einem Filmsetting zwischen TV-Reportage und Hollywood.

Misstrauen im Finanzsystem

Inspirationen, Herausforderungen, Zusammenhänge, Hintergründe: In einem kurzen Interview mit dem steirischen herbst skizzieren Daniel Kötter und Hannes Seidl den Arbeits- und Rechercheprozess von „Kredit“.

Dass wir uns für die unterschiedlichsten Kombinationen von Bildern, Klängen und Bühnenvorgängen interessieren, hat auch ein bißchen damit zu tun, wo wir jeweils herkommen. Als Experimentalfilmer und Videokünstler mit musik- und theaterwissenschaftlichem Hintergrund sowie als Komponist mit Erfahrungen im Installations- und Performance-Bereich gab es bei uns von Beginn der Zusammenarbeit 2008 an eine ganze Menge Gemeinsamkeiten in der Arbeitsweise. Das Interesse für die Komposition von Zeitverläufen im allgemeinen gepaart mit der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit dessen, was unser Sozial- und Kulturleben eigentlich so zusammenhält: die Mechanismen von Arbeit und Freizeit, Geld und Geltung.

In unserer Zusammenarbeit – „KREDIT“ ist die fünfte große Bühnenarbeit, dazu kommen Filme oder Installationen – haben sich die klaren Abgrenzungen der Medien und Aufgabenverteilungen immer mehr verschoben, bis hin zu Momenten, wo Musik eigentlich in einem strengeren Sinne so gar nicht mehr unbedingt vorkommt. Andererseits gibt es aber auch Stücke, in der das musikalisch-kompositorische Element eine große Rolle spielt.

In „KREDIT. Von der Erwartbarkeit zukünftiger Gegenwarten“ geht es uns um die Untersuchung der Tatsache, dass man sich ständig Systeme schaffen muss, Erklärungsmuster oder Narrationen, die unendlichen Möglichkeiten der Zukunft für sich zu organisieren, so dass man sein gegenwärtiges Handeln darauf abstimmen kann – und zwar auf inhaltlicher und formaler Ebene. Das weltweit markanteste, für jeden Einzelnen politisch und ökonomisch folgenreichste Beispiel ist nunmal das Finanzsystem.

In der Idee des Kredits kristallisiert sich dieses Muster: Man projiziert in die Zukunft um sein gegenwärtiges Handeln abzustimmen. Um überhaupt handeln zu können, um dieses immaterielle Geschehen vorwärts treiben zu können, brauche ich meine Erklärungsmuster, brauche ich meine Narrationen. Sei es psychologischer Art, sei es mathematischer Art. Uns interessiert es nun, genau mit diesen Erwartungshaltungen zu spielen und deshalb haben wir auch diese Form gewählt: einen dokumentarischen Stummfilm, der dann durch Musiker, Geräuschemacher und Sprecher, die dem Film einen Soundtrack geben, auf der Bühne fiktionalisiert wird.

Die größte Herausforderung bei der Recherche war, nicht nur an Informationen zu kommen, sondern ein Gefühl dafür zu entwickeln, was dieses für uns eher fremde Gebiet des Finanzsystems ausmacht, weil es sich selber so abschließt. Das heißt: Nach außen hin sind die Türen immer noch zu, Informationen werden nicht rausgelassen, Interviews sind nur bis zu einem bestimmten Thema und bis zu einem bestimmten Punkt möglich und Zugang wird auch nur bis zu einem bestimmten Punkt gewährleistet. Deswegen konnte auch die ursprüngliche Idee, mit Bankern auf der Bühne zu arbeiten, nicht verwirklicht werden. Auf Seite der Banker herrschte ein extremes Misstrauen: gegenüber jedem, der sich für sie interessiert. Es wird angenommen, dass man sich aus kritisch-journalistischen Gründen für Dinge interessiert, die sie gerne im Obskuren lassen würden. Und diese Herausforderung hat natürlich auch seine Spuren in dem letztendlichen Endergebnis des Projekts hinterlassen – weil man damit kreativ umgehen musste: Was machen wir eigentlich, jetzt, wo wir nicht weiter kommen als bis zu der Schranke, wo wir nicht weiter kommen als bis zu dieser Tür und bis zu dieser standardisierten Antwort auf die Fragen, die wir an das System haben.

Konzept, Video, Musik und Regie: Daniel Kötter & Hannes Seidl
Bühne und Assistenz: Rahel Kesselring
Musik, Sound: Andrea Neumann, Peter Sandmann & Sebastian Berweck
Sprecher: Dunja Funke, André Schmidt
Mit: Michael Zapf, Ascan Iredi, Florian Witt, Chor der Deutschen Bundesbank Produktion: ehrliche arbeit Eine Produktion von Daniel Kötter / Hannes Seidl in Koproduktion mit dem Künstlerhaus Mousonturm und dem steirischen herbst



Past Performances:


May 26th, 2019
Radio, WDR 3, Crashflow
Nov 16th, 2013
Frankfurt, Mousonturm, KREDIT. Von der Erwartbarkeit zukünftiger Gegenwarten
Nov 15th, 2013
Frankfurt, Mousonturm, KREDIT. Von den Erwartbarkeiten zukünftiger Gegenwarten


Media:




Musiktheater von Daniel Kötter & Hannes Seidl